Freitag, 4. September 2015

Politische Engagement trifft Handarbeit


 Ach dieses Bild ist schon so alt. Es stammt noch aus dem Studium, als es in Hessen sehr oft gegen Studiengebühren auf die Straße ging. Schon in meinem vorletzten Beitrag hatte ich angedeutet, dass ich den Weg, Lehrerin für Politik/ Gesellschaft/ Sozialkunde zu werden nach wie vor für mich, meinen Geist und mein Leben ganz passend finde. Im weiteren Verlauf der Zeit im Beruf finde ich Inklusion für dieses Fach als unfassbare Bereicherung. Keine Ahnung, was für einen Politikunterricht ich mit Lernenden mit geistiger Behinderung machen würde. Mit Lernenden mit dem Förderbedarf Lernen, emotionale und soziale Entwicklung, zusammen mit Lernenden die den ersten oder zweiten Abschluss oder gar Abitur anstreben, bekommt mein Unterricht oftmals einen unfassbar guten Flow. Und dann kommen die Themen auf den Tisch. Wichtig ist in meinen Augen (und dem Lehrplan) immer die geschichtliche Entwicklung unserer Gesellschaft. Zusammenhänge erkennen und verstehen. Hart wird es dann mit der Zeit des Kolonialismus und dann natürlich die düstere Zeit des Nationalsozialismus. Dabei geht es mir nicht um die alleinige Vermittlung von Wissen, sondern um die Befähigung der Lernenden sich mehr oder weniger aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Nach reflektiertem Denken. Durch die Vielfalt der sozialen Herkunft meiner Lernenden, kommt da in den Diskussionen, Fragen, Sichtweisen und Einstellungen in einer unfassbaren Vielfalt zusammen, die einem oftmals ganz ungeahnte Blickwinkel eröffnen. Meistens kann ich mich so im Unterricht gut zurücknehmen, muss in Diskussionen selten eingreifen und blinde Flecke aufzeigen. Die tauchen so nämlich äußerst selten auf. Manchmal fordern die Lernenden aber auch meine Meinung ein. Weil sie neugierig sind und wissen wollen, was "alte" Menschen so meinen. Manchmal wird es dann auch witzig. Sie kennen die Regeln für Lehrende im Politikunterricht, der verbietet, dass Lehrende ihre Meinung als einzig geltende darstellen dürfen. Habe ich ihnen erklärt. Transparenz und so. Darum darf ich wohl auch öfter mitmachen, da sie wissen, dass in meinem Unterricht meine Meinung nicht mehr wert ist als ihre (außer wenn es natürlich um die Noten geht).


 Richtig gut kam das durch, als wir zum Thema Vorurteile gearbeitet haben. Da ging es richtig rund. Zum Schluss dann auch: "Frau Jule, gegen wen haben sie eigentlich Vorurteile?" "Gegen Lehrer*innen. Wobei es da eine handvoll gibt, die mich positiv überraschen." Da schaute ich aber in eine Menge langer Gesichter. So gibt es doch noch ein wenig politisches Engagement in meinem Leben. Für den Kopf eben, im Unterricht. Ich werde eben nur im Gegensatz zu früher dafür bezahlt.


 Und wie war das jetzt nochmal mit dem Handarbeiten/ Selber machen? Denn eigentlich könnte ich die Zeit, die ich hinter den Nadeln verbringe, ja auch anderswo investieren. Ganz klar ist für mich dieses ganze Zeug ein Rückzugsort. Dabei möchte ich nicht den Kopf in den Sand stecken, mich vor den Aufgaben drücken. Das Gegenteil ist der Fall. Die besten Ideen für eine gute Stunde oder Schnapsideen für neues Engagement kommen mir beim Tun mit den Händen. Die besten Argumente für oder gegen etwas auch. Wenn ich einen Gehirnknoten habe, hilft es immer, sich mal für ein, zwei Stündchen hinter die Nähmaschine zu klemmen und danach liegt die Lösung meistens neben meinem Werkstück auf dem Tisch. Auch bei überschäumender Wut. Yoga eignet sich zwar zum runterkommen, aber nicht um Gedanken zu sortieren. Beim Handarbeiten kann man dazu noch wundervoll die ekelhafte Bekleidungs- und Accesoireindustrie boykottieren. Ebenfalls erhalte ich die Möglichkeit die Dinge so zu gestalten, wie ich sie haben möchte und brauche. Dass ich dabei eine andere Industrie bediene, passiert dabei eben. Aber auch hier: Upcycling kommt ja auch bei mir öfter vor.


 Zur Veranschaulichung des Sinns des Selbermachens von Klamotten habe ich hier mal die Klamotten aufgehängt, die ich in den letzten drei Jahren gekauft habe. Ein Regenmantel, zwei Kleider und ein Second- Hand- Longsleeve. Es fehlen ein Kapuzi mit Message, das Kleid für feierliche Anlässe und meine Winterjacke. Ausgenommen sind Bandshirts, Socken und Unterwäsche. Wobei ich an Letzterem arbeite, dass ich zumindest keine Unnabuxen mehr kaufen muss. Für die Durchschnittsfrau in meinem Umfeld sind das ziemlich wenig Kaufklamotten. Und falls mir manchmal einfällt zu denken, ich sei nicht aktiv genug, würde nicht genug dafür tun, dass die Welt ein bisschen besser wird, dann höre ich sehrsehr gerne FEINE SAHNE FISCHFILET und deren wundervollen Song "Ruhe". Da heißt es dann so schön:

"Nimm dir endlich Zeit
Nimm dich endlich selber Ernst!
Wirst hier gar nichts mehr verändern, wenn du das Genießen verlernst
Nimm dir endlich Zeit
Nimm dich endlich selber Ernst!
Wirst hier gar nichts mehr verändern, wenn du das Genießen verlernst."

 Was helfen die engagiertesten Menschen, wenn sie nicht mehr wissen, wie das mit dem entspannen geht und am Ende wegen Erschöpfung gar nichts mehr tun können? Und was macht ihr so, für ein paar mitmenschliche Lichtblicke?

1 Kommentar:

  1. Mir geht es da genauso: meine besten Einfälle habe ich, wenn ich mit den Händen arbeite.
    Da kann ich meinen Kopf am besten umkrempeln und sortieren.
    Der Text von diesem Lied hat es wirklich in sich. Ich hab das Genießen diesen Sommer in Italien wieder gelernt. Ich hab alles in mein Herz geschlossen und mit heim genommen. Ciao, Angela

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